Fachleute hatten es lange bezweifelt, nun aber dürfte Deutschland sein Klimaziel für das laufende Jahr doch noch erreichen: Durch den Sondereffekt der Corona-Pandemie und den milden Winter gehen die Treibhausgasemissionen überraschend deutlich zurück. Das zeigt eine Analyse der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende.
Zahlreiche Urlaubs- und Geschäftsreisen sind entfallen, viele Berufspendler arbeiten im Homeoffice, die Industrieproduktion sinkt – das wirkt sich auch auf die Treibhausgasemissionen aus. Sie würden dieses Jahr voraussichtlich 40 bis 45 Prozent unter das Niveau von 1990 fallen, haben die Experten von Agora Energiewende errechnet. Das längst aufgegebene Klimaziel der Bundesregierung für 2020 wäre damit doch noch erreicht: Es liegt bei minus 40 Prozent.
Der Analyse zufolge schlagen sich in der deutschen Klimabilanz vor allem zwei Einmaleffekte nieder. Schon der milde und stürmische Winter habe die Produktion aus erneuerbaren Energien ansteigen und den Strom- und Energieverbrauch zum Heizen sinken lassen. Hinzu käme seit Mitte März die Corona-Krise, die vor allem zwei CO2-senkende Folgen hat: Der Personenverkehr ist stark zurückgegangen, und auch der industrielle Bedarf an Strom und Erdgas sinkt infolge des Konjunktureinbruchs deutlich.
Agora-Direktor Dr. Patrick Graichen warnt allerdings davor, den Rückgang der Treibhausgase gleich als gute Nachricht für den Klimaschutz zu werten. Zum einen würden die Emissionen nach der Krise wieder hochschnellen, zum anderen drohe Zurückhaltung bei klimaschutzrelevanten Investitionen, etwa im Bereich der Erneuerbaren, bei der Gebäudesanierung oder in der Industrie. »Wachstums- und Konjunkturpakete, die jetzt geschnürt werden, sollten daher nicht nur die Folgen der Corona-Rezession bekämpfen, sondern sie müssen auch helfen, Deutschland langfristig klimasicher aufzustellen.« Ein Paket, das »blind alte Technologien förderte«, halten die Berliner Energieexperten sogar für schädlich, weil es höhere Emissionen für lange Zeit festschreiben würde. »Es ist daher jetzt nötig, dass zügig Konzepte für grüne Investitionsprogramme erarbeitet werden«, fordert Dr. Patrick Graichen.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) plädiert dafür, bei den notwendigen Hilfen für Unternehmen und Beschäftigte einen klaren Fokus auf eine dauerhafte und regionale Wertschöpfung zu legen. »Die Erneuerbare-Energien-Branche bietet an, Bund, Länder und Gemeinden in der Ausgestaltung einer nachhaltigen Energieversorgung zu flankieren, um Investitionen gezielt vor Ort einzusetzen und Bürgerinnen und Bürger in Stadt und Land miteinzubeziehen«, sagt Dr. Simone Peter, Präsidentin des BEE. Es brauche jetzt einen mutigen Innovationsdeal für die Zukunft.