Wer sein Mobiltelefon über die Steckdose lädt, tat dies in den ersten sechs Monaten des Jahres im Schnitt zu 57,7 Prozent mit Ökostrom. Das ist ein so hoher Anteil wie nie zuvor und ein deutlicher Anstieg von mehr als 11 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert, wie Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zeigen. Sie beziehen sich auf die öffentliche Nettostromerzeugung, also den Strommix, der aus unseren Steckdosen kommt; die Stromproduktion der Industrie für den Eigenbedarf bleibt dabei außen vor.
Die vielfach geäußerte Befürchtung, das Abschalten der letzten Atommeiler im vergangenen April könne unseren Strom schmutziger machen, hat sich bisher nicht bestätigt. Im Gegenteil, der Aufschwung der Erneuerbaren ging sogar mit einem Rückgang der CO2-intensiven Kohleverstromung einher: Die Erzeugung aus Braunkohle sank gegenüber dem ersten Halbjahr 2022 um 21 Prozent, die aus Steinkohle um 23 Prozent. Bei den Erneuerbaren hatte dagegen einmal mehr die Windkraft die Nase vorn: Mit einem Anteil von fast 30 Prozent am Strommix war sie erneut die wichtigste grüne Energiequelle, gefolgt von der Photovoltaik mit 13,4 Prozent. Wären der Februar windiger und der März sonniger ausgefallen, hätte der Ökostromanteil sogar noch höher sein können.
Damit der Kohleausstieg möglichst schon im Jahr 2030 gelingt, muss der Ausbau von Wind und Sonne weiter anziehen. Vor allem die Solarenergie legt aktuell kräftig zu: So gingen von Januar bis Juni 2023 Anlagen mit einer Leistung von 6.500 Megawatt in Betrieb, eine Zunahme um 71 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das geht aus einer Auswertung des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien hervor. Bei der Windkraft an Land ist es dagegen die steigende Zahl der Genehmigungen, die positiv stimmt: 585 Anlagen mit zusammen 3.175 Megawatt Leistung erhielten laut Bundesverband Windenergie im ersten Halbjahr grünes Licht für den Bau. Hält dieser Trend an, dürften es bis Jahresende mehr als 6.000 Megawatt sein.
Um den grünen Strom in Zukunft besser im Land verteilen zu können, kündigt die Bundesnetzagentur mehr Tempo beim Netzausbau an: Bis Ende 2024 sollen 2.800 Kilometer und bis Ende 2025 insgesamt 4.400 Kilometer Hochspannungsleitungen genehmigt sein. Das wäre eine deutliche Beschleunigung, hatten doch bis Ende Juni gerade einmal 470 Kilometer die Verfahren erfolgreich durchlaufen. Neue gesetzliche Regelungen vereinfachen allerdings inzwischen auch hier die teils sehr zeitintensiven Prüfverfahren, sei es zum Artenschutz oder zur Umweltverträglichkeit der Projekte.
Bisher würden Fortschritte zwar nur »in einzelnen Leitungsabschnitten sichtbar«, so Netzagentur-Präsident Klaus Müller, »aber ab nächstem Jahr werden wir in großem Umfang Baugenehmigungen erteilen.« Die Behörde ist für die Hochspannungsleitungen zuständig, die durch mehrere Bundesländer verlaufen. Das betrifft aktuell rund 7.400 von insgesamt 14.000 Kilometer Leitungen, die zu errichten sind. Vor allem Windstrom aus dem Norden soll über die neuen Trassen in die verbrauchsstarken Zentren im Westen und Süden des Landes gelangen. Der Ausbau des Stromnetzes gilt deshalb als ein Schlüssel der Energiewende.