Die aktuelle Energiekrise sei ein Schock von noch nie da gewesener Tragweite und Komplexität, erklärte die Internationale Energieagentur (IEA) Ende Oktober anlässlich der Veröffentlichung ihres jüngsten Jahresberichts, des »World Energy Outlook 2022«. Die globale Krise führe zu langfristigen Veränderungen, die den Übergang zu einem nachhaltigeren und sichereren Energiesystem beschleunigen könnten.
Als den Auslöser dieser Entwicklung sieht die IEA den russischen Einmarsch in die Ukraine. Vor Kriegsbeginn war Russland der weltweit größte Exporteur fossiler Brennstoffe, von dem Europa zuverlässig einen Großteil seiner Energie zu günstigen Konditionen erhielt. Zwar hätten die europäischen Klimaschutzpläne den Handelsbeziehungen auf längere Sicht Grenzen gesetzt. Doch durch den Ukrainekrieg, so die Agentur, sei der »Bruch« Europas mit russischem Gas mit einer Geschwindigkeit eingetreten, die nur wenige für möglich gehalten hätten. Die Folge ist eine umfassende Neuausrichtung des globalen Energiehandels in den 2020er-Jahren.
Viele Staaten versuchten nun, die Energiewende zu beschleunigen, und ergriffen längerfristige Maßnahmen. So stellt etwa die Europäische Union mit »REPowerEU« und dem »Fit for 55«-Paket viel Geld für den Ökostrom-Ausbau zur Verfügung. Gleiches gilt für den milliardenschweren »Inflation Reduction Act« in den USA. Auch China investiert massiv und hat sich, ebenso wie zum Beispiel Indien, ehrgeizige Ausbauziele gesetzt. Ausgehend von diesen neuesten politischen Rahmenbedingungen rechnet die IEA bis 2030 mit einem Anstieg der weltweiten Investitionen um 50 Prozent auf über zwei Billionen US-Dollar pro Jahr. »Die Reaktionen der Regierungen auf der ganzen Welt versprechen, dass es zu einem historischen und endgültigen Wendepunkt hin zu einem saubereren, erschwinglicheren und sichereren Energiesystem kommt«, so Fatih Birol, geschäftsführender Direktor der IEA.
Den Höchststand der globalen Emissionen erwartet die Agentur unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen um das Jahr 2025 herum. Von Mitte der 2020er-Jahre bis 2050 gehe die Nutzung fossiler Brennstoffe dann stetig zurück. In der Analyse sinkt zunächst die Kohleverstromung deutlich, die Erdgasnachfrage erreicht bis zum Ende der 2020er-Jahre ein Plateau, während der steigende Absatz von Elektroautos die Erdölnachfrage ab Mitte der 2030er-Jahre sinken lässt. Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu halten, reicht das Tempo der Emissionsminderung allerdings nicht aus. Vielmehr steuert die Welt der Analyse zufolge noch immer auf einen Anstieg der Durchschnittstemperatur um 2,5 Grad zu – das Doppelte der bisherigen Erwärmung.
Doch es gibt weitere hoffnungsvolle Zeichen: Die IEA geht davon aus, dass sich die Energiewende deutlich schneller vollziehen könnte, wenn das heutige Wachstum bei Photovoltaik, Windkraft, Elektroautos und Batterien anhält. Die Lieferketten einiger Schlüsseltechnologien expandierten in einer Geschwindigkeit, die größere globale Ambitionen unterstütze. »Wir werden einige schwierige Jahre durchleben«, meint Fatih Birol, »aber wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, wird man vielleicht sehen, dass 2022 das Jahr war, in dem der Übergang zu sauberer Energie auf der ganzen Welt an Fahrt gewonnen hat.«