Nur die beschleunigte Umstellung auf eine regenerative Vollversorgung kann Deutschland unabhängig von Öl, Gas und Kohle autokratisch regierter Staaten machen. Das führt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit all seinen Auswirkungen auf die europäische Energieversorgung gerade überdeutlich vor Augen. Und was sich die Ampel hier auch mit Blick auf die sich verschärfende Klimakrise vorgenommen hat, ist enorm – gerade wenn man es vor dem Hintergrund des Stillstands der vergangenen Jahre sieht. »Wir starten nicht auf der Ziellinie, sondern mit einem gehörigen Rückstand«, stellte der neue Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schon bei der Präsentation seiner »Eröffnungsbilanz Klimaschutz« im Januar nüchtern fest. »Es ist absehbar, dass die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden.« Dass die Zeit drängt, daran ließ er keinen Zweifel: »Wir müssen die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderung verdreifachen und deutlich mehr in weniger Zeit tun.« Sonst sei bereits heute absehbar, dass Deutschland auch die Klimaziele für 2030 verfehlen werde.
Erste Gegenmaßnahmen stehen schon fest: So sieht die Ampel im massiven Ausbau erneuerbarer Energien den Schlüssel zum Erreichen der Klimaziele, bildet doch Ökostrom sowohl die Grundlage für die Wärme- und Verkehrswende als auch für die Dekarbonisierung der Industrie. Auf 42,6 Prozent ist der Erneuerbaren-Anteil am deutschen Strommix in den vergangenen 30 Jahren gestiegen. Nun will ihn die Regierung in acht Jahren auf 80 Prozent anheben – und das bei steigendem Strombedarf. Dazu müssen die Ausschreibungsmengen im EEG kräftig erhöht werden: Bei Windkraft an Land soll sich die installierte Leistung bis 2030 in etwa verdoppeln, bei Photovoltaik mehr als verdreifachen. »Wir werden den Grundsatz verankern, dass der Erneuerbare-Energien-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient«, kündigte der Minister an.
Ein Windkraft-an-Land-Gesetz soll helfen, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie zu reservieren und die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Insbesondere auf bereits für die Nutzung ausgewiesenen Flächen sollen die Hemmnisse schnell beseitigt werden, indem zum Beispiel die Abstände von Windparks zu Wetterradaren und Funknavigationsanlagen verkleinert werden. Den Ausbau der Photovoltaik will Habeck mit einem Solarbeschleunigungspaket vorantreiben. Zu den darin enthaltenen Maßnahmen zählen unter anderem die Ausweitung nutzbarer Flächen für Solarparks, eine Anhebung des Schwellenwerts zur Teilnahme an Ausschreibungen und eine Solarpflicht für gewerbliche Neubauten. Die Transformation der Industrie soll mithilfe sogenannter Klimaschutzdifferenzverträge gefördert werden. Damit könnten Unternehmen einen Ausgleich für die höheren Kosten klimaneutraler Produktionsverfahren erhalten, die etwa bei der Umstellung auf grünen Wasserstoff anfallen. Dessen Produktionskapazität will die Ampel bis 2030 auf zehn Gigawatt ausbauen und so das bisherige Ziel verdoppeln.
Die Aufgaben seien »gigantisch«, räumte Robert Habeck ein. Und man dürfe nicht glauben, dass die Energiewende nur eine technische Frage sei, sie greife auch tief in die gesellschaftliche Wirklichkeit ein. Umso auffälliger ist die breite Unterstützung für seine Pläne, die von Umweltorganisationen bis zur Industrie reicht. »Es ist gut, dass die Bundesregierung mit dem Sofortprogramm jetzt die gewaltigen Bremsklötze beim Klimaschutz entfernen will«, sagte etwa Wolfgang Große Entrup vom Verband der Chemischen Industrie. Schnellere Genehmigungen und Flächenausweisungen für erneuerbare Energie seien dafür zentral, so Kerstin Andreae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft: »Wenn der Bundesregierung hier ein Durchbruch gelingt, kann das Sofortprogramm ein Meilenstein der Energiewende werden.«