Sich auf verschärfte Ziele zur Treibhausgasminderung zu einigen war noch vergleichsweise einfach. Wer weiß schon so genau, was es bedeutet, die Emissionen EU-weit bis 2030 um 55 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Doch mit dem neuen Klimapaket wird die EU-Kommission jetzt als erster großer Machtblock der Welt konkret. Und dafür gebührt ihr vor allem eins: Respekt. Denn Mitgliedsstaaten und Europaparlament werden zweifellos hart um die Details ringen.
Das »Fit for 55«-Paket betrifft weite Teile der Wirtschaft und wird auch die Art, wie wir uns fortbewegen, verändern. Neuwagen etwa sollen bis 2035 emissionsfrei werden, was nach heutigem Stand das Aus für mit Diesel oder Benzin betriebene Pkw bedeuten würde. Parallel dazu soll auf dem gesamten Kontinent ein dichtes Netz an Ladestationen für Elektroautos und Wasserstofftankstellen entstehen. Erneuerbare Energien – die Schlüsseltechnologien im neuen Energiesystem – sollen kräftig ausgebaut und Wälder aufgeforstet werden, während die Menge an Verschmutzungsrechten für Kraftwerke, Industrie und Luftfahrt über den Emissionshandel stetig sinkt. Auch der industrielle Einsatz von Wasserstoff soll vorangetrieben werden.
Kein Zweifel, die EU-Kommission hat verstanden, dass es beim Kampf gegen den Klimawandel auch um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie geht, die immerhin rund 35 Millionen Menschen Arbeit bietet; weitere Millionen Jobs hängen indirekt von ihr ab. Denn egal ob China, die USA oder Europa – alle stehen vor der gleichen Herausforderung: Die Produktion von Autos, Stahl, Zement, Kunststoffen muss klimaneutral werden. Wer diesen Wettlauf gewinnt, der sichert nicht nur Millionen Arbeitsplätze, er erschließt sich auch die Exportmärkte der Zukunft. Bei der Autoindustrie kann man aktuell verfolgen, wie eine Branche umsteigt. Und selbst grüner Stahl wird dank erneuerbarer Energien langsam vorstellbar.
Welche Position aber wird Deutschland als starker Industriestandort auf EU-Ebene vertreten? Das hängt auch von der kommenden Bundestagswahl ab, wird doch die neue Regierung das EU-Klimapaket maßgeblich mit aushandeln. Wird sie die ökonomische Chance ergreifen, die Klimaneutralität für die europäische Wirtschaft bedeutet? Oder wird sie sich von teils kurzsichtigen Lobbyinteressen treiben lassen?
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits betont, dass Deutschland mehr für den Klimaschutz tun muss, auch über die nationalen Grenzen hinaus. Und auch der aktuelle Sachstandsbericht des Weltklimarats macht deutlich, dass die 20er-Jahre das entscheidende Jahrzehnt sein werden, um die Erderwärmung noch auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. »Die kommende Legislaturperiode dürfte die letzte sein, in der Deutschland noch das Ruder beim Klimaschutz herumreißen und einen angemessenen Beitrag zum Erreichen der Paris-Ziele leisten kann«, schreibt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einem Gastbeitrag auf Spiegel Online. Ende September haben wir die Wahl. Machen wir sie zu einer Klimawahl!