»Dieses Urteil reicht weit über Shell hinaus«, kommentierte Greenpeace-Sprecher Niklas Schinerl Ende Mai den Schuldspruch gegen den multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Den Haag. »Es warnt jedes Unternehmen, dass Geschäftsmodelle auf Kosten von Natur und Klima nicht länger zulässig sind.« – Was war passiert? Mit seinem Urteil hat das niederländische Bezirksgericht in Den Haag womöglich einen Präzedenzfall geschaffen: Es verdonnerte erstmals einen global agierenden Großkonzern zu mehr Klimaschutz im Sinne des Pariser Abkommens.
Bis 2030 soll Shell die Emissionen aus seinem Öl- und Gasgeschäft um 45 Prozent unter das Niveau von 2019 senken – inklusive jener Treibhausgase, die bei der Verbrennung seiner Produkte anfallen, beim Autofahren oder Fliegen zum Beispiel oder beim Heizen mit Öl. Damit zielt das Urteil klar auf die wenigen großen Öl- und Gaskonzerne, die eine globale Energiewende beeinflussen können, nicht aber auf den kleinen Installateurbetrieb oder Gebrauchtwagenhändler vor Ort. Mehrere Umweltschutzorganisationen hatten Shell verklagt, weil das Unternehmen gegen die globalen Klimaziele verstoße. Unterstützt wurden sie dabei von mehr als 17.000 niederländischen Bürger*innen, weshalb der Prozess auch »Das Volk gegen Shell« genannt wurde.
Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und Shell hat mittlerweile Berufung eingelegt, Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt es aber dennoch als »zukunftsweisend« ein. »Die Konzerne haben jetzt wirklich Planungssicherheit, dass sie Klimaschutz als Geschäftsmodell umsetzen müssen«, sagte die Ökonomin im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das Urteil sei auch ein »Weckruf« für Shell und andere fossile Großunternehmen, umzusteuern und im großen Stil in die Energiewende zu investieren, auch gerne in Verbindung mit grünem Wasserstoff. Da gebe es »riesige wirtschaftliche Chancen« und neue Geschäftsmodelle, die auch gehoben werden müssten.
Tatsächlich könnte das Urteil auch in anderen Ländern Nachahmung finden. So hat die Deutsche Umwelthilfe bereits für den kommenden Herbst Klagen gegen besonders klimaschädliche Wirtschaftsunternehmen angekündigt. Das könnten in Deutschland etwa große Energiekonzerne oder Autohersteller sein, sofern sie noch keine glaubhafte Strategie für den Weg in ein klimaneutrales Wirtschaftssystem vorweisen können.
Doch auch Investoren und Aktionäre dürften den Druck auf die Vorstandsetagen erhöhen. Das zeigte sich dieses Jahr bereits beim US-Ölriesen Exxon Mobil: Dessen Aktionäre wählten auf der Hauptversammlung drei Kandidaten in den Verwaltungsrat, die von Engine No. 1 vorgeschlagen wurden, einem kleinen Hedgefonds, der den Ölriesen zu mehr Klimaschutz drängen will. Zwar hält Engine No. 1 nur 0,02 Prozent der Anteile an Exxon, die aktivistischen Investoren konnten aber auf die Unterstützung von Großaktionären zählen, darunter verschiedene Pensionsfonds. Über den Verwaltungsrat sollen die drei Kandidaten nun darauf hinwirken, dass Exxon sein Ölgeschäft zurückfährt und in zukunftsfähige Technologien investiert. Ziel ist es, den Konzern langfristig profitabel zu halten.